Mercedes-Benz W 140 S 320: Aus dem Vollen gefräst

09.07.2024 von Jens Tanz

Jeder Autofan hat vermutlich einmal über die Notwendigkeit von Peilstäben am Heck geschmunzelt. Heute lächelt die „Helmut Kohl S-Klasse“ erhaben über die, die damals gelächelt haben. Denn schon vor 30 Jahren repräsentierte sie die Besserverdiener des ausklingenden Jahrtausends mit einem einzigen Anspruch: Der Allerbeste zu sein. 

Frontansicht eines grauen Mercedes Benz w140 s320 parkend auf einer grünen Wiese mit Wald im Hintergrund
Ganze Ansicht des grauen Mercedes w140 s320 parkend an einem Straßenrand vor einem Feld.

Optisch und akustisch umringt von westdeutscher Schwerindustrie läuft ein großes Auto im Standgas. Es dröhnt nicht, es rumpelt nicht und es poltert auch nicht. Die Benzinpumpe sirrt lauter als das Triebwerk, was vorn unbemerkt das gute Super verklappt. Der Motor macht das auf eine Art und Weise, die uns für immer verborgen bleiben wird - denn wir bekommen das quasi gar nicht mit. Das Triebwerk von Otto sollte im Entwurf von Sacco nur Mittel zum Zweck sein, bemerken durfte man es nicht. Eigentlich sollte der Käufer einer neuen S-Klasse der Baureihe 140 überhaupt nichts von dem bemerken, was um ihn herum passierte. Passt das nicht eher… in die heutige Zeit?

Die Spitze des Automobilbaus der 90er: Der Mercedes W 140

Die German Upperclass der 90er Jahre manifestierte sich im Topmodell von Mercedes-Benz, und zwar im letzten, was noch ohne Rotstift und Sparzwang auf seine vier Räder gestellt wurde. Der W 140 zwischen 1991 und 1998 gilt noch immer als die Eskalation der automobilen Dimensionen im schönen Baden-Württemberg. Freunde des gepflegten Drehmoments bestellten ihn mit dem geschmeidigen V8 oder sogar dem V12, damals eine direkte Antwort auf den ersten deutschen Serienzwölfzylinder im BMW 750i.

Bei einer persönlichen Gegenüberstellung mit diesem Mercedes-Benz S 320 ist es auch für Kritiker fast unmöglich, den nicht zu lieben. Seine wuchtigen Dimensionen, seine Klobigkeit aber dabei auch irgendwie seine gesamte Stimmigkeit sind unmissverständlich. Der Anspruch von Mercedes-Benz, das beste Auto der Welt zu bauen, stand doppelt unterstrichen in den Auftragsbüchern der Ingenieure. Der Kostenrahmen war weitläufig ausgedehnt worden. Und das sieht und fühlt man auch 30 Jahre später noch in jeder Sicke, jeder Kante und jeder Schraube. 

Heckansicht des grauen Mercedes w140 s320 parkend am Straßenrand

Vom Entwurf zur Legende: Bruno Saccos Vision der S-Klasse

Bruno Sacco war Schuld. Der Designer sollte einen würdigen Nachfolger für die sehr erfolgreiche S-Klasse der Baureihe 126 gestalten, und er legte schon 1981 damit los. Er sollte das Flaggschiff und den Technologieträger vom Daimler würdig und erfolgreich in die 90er führen. Der Budget-Topf war groß, Sparsamkeit stand anfangs nicht auf der Agenda. Der Motor sollte auf keinen Fall quer eingebaut werden. Das neue Auto sollte S-Klasse typisch das gesamte Arsenal an technischen Neuigkeiten implantiert bekommen und gleichzeitig seine Insassen effizient von der Außenwelt abschotten. 

1986 fielen die endgültigen Entscheidungen zu den vorgelegten Designentwürfen, 1988 wurden die Patente angemeldet und 1989 kam der nagelneue Lexus LS 400. Oh nein! Das war ernsthafte Konkurrenz. Das berühmte stehende 5-Mark-Stück auf dem laufenden Lexus Motor hat es zwar nie gegeben, aber der Wagen war trotzdem erstaunlich hochwertig. Daimler-Benz nahm noch kurz vor dem Serienstart diverse Verbesserungen am Entwurf vor und überschritt am Ende doch das - wo auch immer gesetzte - Kostenlimit. Chefentwickler Wolfgang Peter musste als Konsequenz seinen Hut nehmen. Doch dann wurde gebaut, was gebaut werden musste.

Technologieträger - der Mercedes S 320

Ein über fünf Meter langes, fast 1,90 Meter breites und zwei Tonnen schweres Meisterwerk wurde 1991 in eine unruhige Welt entlassen. Mit der heutigen Wahrnehmung wirkt die Limousine neben den Über-SUV der Generation „Höher sitzen als die anderen“ regelrecht filigran, aber das wirft eher ein Licht auf heutige Bedürfnisse als auf damaliges Design. Der 140er war aus dem Vollen gefräst, um die Folgen der deutschen Wiedervereinigung zu meistern. In seinen ersten Jahren punktete die S-Klasse mit allerhand Überraschungen, über die man staunen oder schmunzeln konnte. Erstmalig wurden die elektronischen Steuergeräte über einen CAN Bus vernetzt und kommunizierten nun wie Computer miteinander. Segen und Fluch – bei Störungen auf dem Bus macht das Auto komische Sachen. Und die Einparkhilfe! Die akustischen Signale beim Rückwärtsfahren, mit denen heute jeder Kompaktwagen seine Insassen belästigt, konnten ab 1995 optional bestellt werden. Wer das damals schon nicht mochte, bestellte die kleinen Peilstäbe, die beim Einlegen des Rückwärtsgangs aus den hinteren Kotflügeln herausfuhren. Damals ein Aufreger, heute ein geliebtes Extra. Das elektronische Stabilitätsprogramm ESP und die elektronische Dämpferkontrolle ADS kamen ebenfalls 1995 auf die Liste. Das ist jetzt 30 Jahre her – Respekt, Mercedes-Benz.

Ein grauer Mercedes w140 06 befindet sich im Driveby auf einer geteerten Straße

Ein zeitloser Klassiker auf der Straße: Der Mercedes-Benz S 320 in Bewegung

Wie fährt sich heute dieser Mercedes S320? Als die schweren Türen zufallen, ist es still in dem großen Auto. Das Vermächtnis des damaligen Vorstandschefs Werner Niefers gilt heute als der letzte "Ingenieurswagen" und sollte Menschen zwischen 1,60 und 1,90 Metern Größe auf allen Plätzen genügen. Das tut er. Das Raumgefühl auf dem mit Holz umbauten Gestühl ist beeindruckend, die Stille fast erdrückend. Ein Sitz knarzt leicht. Ein Schalter knackt. So leise ist es sonst nur in den akustischen Testlaboren von HiFi Herstellern.

Wir legen die Fahrstufe ein (ach, der Motor läuft schon?) und setzen das Schiff in Bewegung. Dieser Mercedes-Benz S 320 ist „nur“ mit dem wundervollen Reihensechser M 104 ausgestattet. Aber das kettengesteuerte Triebwerk ist leise und drehfreudig, damit ist der Gleiter wahrhaftig nicht untermotorisiert und flutscht mit seinem auch heute noch guten CW Wert von 0,3 unter dem Westwind durch. Die Außenwelt bleibt die Außenwelt und rauscht an den doppelwandigen Fenstern vorbei wie ein Film. Ein Luxus ohne Lexus, der heute vor allem zeitgeschichtlich begeistert, denn aktuelle Autos sind auch erstaunlich leise. 

Einblick in das Interieur des Vorderbereiches des Mercedes w140 s320 mit schwarzen Ledersitzen und brauner Innenverkleidung

Wie groß ist der Mercedes-Benz S 320?

Von außen sind neue Autos nicht viel kleiner als diese Galeere mit den Sacco-Brettern an den Flanken. Ein VW Passat? Oder ein aktueller 3er BMW? Die sind fast genau so breit wie ein W 140. Der ist 5.113 mm lang und 1.886 mm breit. Fake News? Nein, das stimmt. Aber neue Autos verströmen nicht diese wundervolle Überheblichkeit, diese Erhabenheit gegenüber allen anderen. Das konnte nach der Helmut Kohl S-Klasse keiner mehr so gut.

Einblick in das Interieur der Rücksitze eines Mercedes w140 mit schwarzen Ledersitzen und Armlehne

Wie viel kostet der Mercedes S 320?

Die preisliche Talsohle der Baureihe 140 ist bereits durchschritten, und die Grenze nach oben ist wie so oft fließend. Gesuchte Exemplare haben Velours statt Leder. Und die haptische Knopfbatterie in der Mittelkonsole sucht ihresgleichen. Dieses technische Meisterwerk bietet zwischen „Buchhalter“ und „Volle Hütte“ eine unfassbare Vielfalt an Zubehör, was eine kleine Geschichte über den Erstbesitzer erzählt. In Deutschland fangen fahrbereite Limousinen mit gültiger HU bei rund 7.000 € an, die meisten Fahrzeuge liegen heute je nach Ausstattung und Motorisierung zwischen 15.000 € und 20.000 €.

Wie jede alternde Oberklasse gibt es auch bei diesem grundsätzlich überdimensionierten Ingenieurswagen Schwachstellen und teure Haken. Reparaturen am Getriebe, der Hinterachse oder dem porösen Motorkabelbaum kosten gern mal den halben Kaufpreis. Es ist eine S-Klasse. Sie ist niemals dafür gebaut worden, im Alter ein billiger Alltagswagen zu sein. Aber sie guckt auf den meisten Parkplätzen auch heute noch vorn und hinten ein bisschen raus. Herrlich.

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Technische Fahrzeugdaten Mercedes-Benz S 320 im Überblick

Baujahr: 1995
Motor:Sechszylinder Reihe
Hubraum:3199 ccm
Leistung:170 KW (231 PS) bei 5600/min
Max. Drehmoment:315 Nm bei 3750/min
Getriebe:Fünfgang Automat
Antrieb:Hinterräder
Länge/Breite/Höhe: 5113/1886/1485 mm
Leergewicht:1900 kg
Beschleunigung 0-100 km/h:8,9 s 
Top Speed:225 km/h
Wert:ca 10.000 Euro
Baujahr: 1995
Motor:Sechszylinder Reihe
Nahaufnahme des Motors eines grauen Mercedes w140 s320

Mercedes-Benz W 140 S 320 Bilder

  • Mercedes W140 S320 Totale in grau parkt auf einer Straße bei Regenwetter mit Blick auf die Front des Fahrzeugs

    Das „Waffeleisen“, Gesicht der 90er

    Das Frontdesign war bei Mercedes-Benz modellübergreifend, der 190er (Baby Benz) und der W 124 sahen von vorn ähnlich aus.

  • Eine Nahaufnahme des Mercedes W140 S320 Interieurs mit schwarzer Tachoanzeige

    Klare Übersicht im Mercedes S 320

    Rundinstrumente ohne Schnörkel – die „Helmut Kohl“ S-Klasse verwirrt nicht mit zu vielen Informationen

  • Aufnahme eines grauen Mercedes W140 S320 im Driveby auf einer gepflasterten Straße

    W 140: damals dick, heute zeitlos

    Viele Legenden um die Größe der Limousine verdampfen heute angesichts Bruno Saccos zeitlosem Design

Bilder: © Jens Tanz, Sandmanns Welt

Jens Tanz, Gastautor

Gastautor: Jens Tanz

ist Motorjournalist & Social Media Manager und lebt leidenschaftlich die Autos der 70er aus dem Straßenbild seiner Kindheit. Im Netz ist er als „Sandmann“ unterwegs und schraubt und schreibt sowohl über die eigenen Erlebnisse mit seinen Oldtimern als auch markenübergreifend über andere Oldtimer und ihre Menschen. Hier geht es zu Jens´ Blog: 

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